Regionale Weiterbildung mit Erich Gysling

Die Leiterinnen der Programme Ämtler Tandem, Deutsch-Café, Jobwerkstatt, «mitenand» und Besuchsdienste führen gemeinsam Weiterbildungen exklusiv für die Freiwilligen durch. Die Einladungen zu relevanten Themen sind Dank und Wertschätzung wie auch eine Möglichkeit zur fachlichen und persönlichen Weiterbildung.

Am Mittwoch, 25. September 2024 luden die Leiterinnen ein zu einem äusserst informativen Abend mit Erich Gysling im LaMarotte. 

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Bild: Mohammed Chahin

Dominik Stierli, Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern

Zwei Krisenherde im Fokus

Der in Affoltern wohnhafte renommierte Journalist Erich Gysling sprach im lamarotte

Der Kulturkeller lamarotte in Affoltern war bis auf den letzten Platz gefüllt, der Journalist und ehemalige SRF-Korrespondent Erich Gysling wartete auf der Bühne auf seinen Einsatz. Mit seiner bekannten, angenehmen Stimme ­begrüsste Gysling die Interessierten und sprach von einer Premiere. Er wohne seit 15 Jahren in Affoltern, habe aber seither keinen Vortrag mehr in der Stadt gehalten. Verschiedene Ämtler Organisationen (siehe Box), welche sich in der Region um humanitäre Einsätze von Freiwilligen kümmern, hatten zum Vortrag geladen.

Was dann auf die Anwesenden zukam, war alles andere als leichte Kost. Die beiden Konfliktherde im Mittleren Osten und in der Ukraine sollten ­beleuchtet werden. Gysling wechselte die Sprache auf Hochdeutsch – da dies einfach präziser sei – und erzählte in hohem Tempo von der aktuellen Lage, aber auch der Vergangenheit, nicht ohne immer mal wieder eine selbst ­erlebte Anekdote einzuschieben.
 

Israel und die Hamas

Beim Konflikt im Nahen Ost sprach er von einem Massenmord, welchen die ­Hamas am 7. Oktober in Israel verübte. Er fügte an, dass Israel aber auch nicht über alle Zweifel erhaben sei. Im Gazastreifen seien 70 Prozent der Gebäude zerstört. Das grosse Ziel Israels sei die komplette Vernichtung der Hamas und die Rettung der Geiseln. «Jetzt sage ich, und auch andere», erklärte Gysling, «das Ziel ist nicht erreichbar.» Ohne Deal zwischen den Parteien würden die Geiseln nicht frei kommen.

Und angenommen, die Vernichtung gelinge, es würden immer wieder neue Leute nachkommen. «Nur der Name wäre vernichtet, wenn sich am Boden nichts ändert», führt er aus und erklärt, dass man weltweit immer nur von der Zweistaatenlösung spreche. «Eigentlich ist diese nicht realistisch, aber es fällt niemandem etwas anderes ein», sagt ­Gysling.

 

Achse des Widerstandes

Für einen Überblick über die Region weitete Gysling das Thema auf die ­sogenannte Achse des Widerstandes aus. Ein Netzwerk nicht staatlicher, radikaler Gruppierungen im Irak, Iran, Libanon, Syrien und Jemen. So sprach er von den irakischen Milizen, welche wohl vom Iran finanziert würden.

Immer wieder wechselte Gysling die Perspektive und zeigte eine Situation auch aus der Innensicht eines Landes auf. So stellte er mithilfe einer Landkarte dar, wie stark der Iran von amerikanischen Stützpunkten umgeben ist. «Das sind etwas über 45 militärische Basen rund um das Land herum», ­erklärte der 88-Jährige. Dies erklärt die Haltung der Iraner, dass sie sagen, man fühle sich nicht sicher. Die ganze Aufrüstung, auch zur möglichen Atommacht, diene der Verteidigung. Gysling kommentierte dies mit: «Das können wir glauben oder nicht.» Auffällig sei, dass trotz Anschlägen auf iranischem Boden durch Israel eine heftige Reaktion Irans ausblieb. Man kündige jeweils ­Racheaktionen an, geschehen sei jeweils sehr wenig. Für Gysling zeigt dies, dass die Iraner nicht in einen grossen Krieg involviert werden wollen, wie er mehrfach betont.

Kurz erklärte der Journalist auch die His­bol­lah-Partei im Libanon. Als Miliz und politische Partei sei es schwierig zu sagen, was diese Organisation überhaupt sei. Von Syrien berichtete Gysling, dass dort eine riesige humanitäre ­Katastrophe stattfinde, Millionen ­Menschen seien im eigenen Land und auch in andere Länder vertrieben ­worden. Das Gleiche gelte für den Jemen, wo die Huthi-Rebellen seit Jahren aktiv sind. All diese Gruppierungen beteiligen sich auf die eine oder andere Weise immer wieder an Aktionen gegen Israel.

Am Beispiel Afghanistan zeigte ­Gysling auf, wie es nicht sein sollte. Der Westen versuchte dort während 20 Jahren für Ordnung zu sorgen. Die Nachteile für die Zivilbevölkerung hätten aber überwogen. Bei den Opferzahlen gebe es eine untere Zahl mit 600000 und eine hohe Zahl mit 1,5 Millionen Toten, welche der Konflikt bisher gefordert habe. Seit Sommer 2021 ist das Land nun wieder sich selbst überlassen und dies unter dem Regime der Taliban, welche die Frauen und Menschenrechte unterdrückten. Niemand wisse, wie man dort weiterfahren soll. «In dieser Ratlosigkeit befindet sich die ganze westliche ­Politik», sagt er zum Thema, und auch Gysling selbst zeigte sich ratlos über mögliche Lösungen.

Diese Ratlosigkeit sollte auch beim zweiten Thema des Abends auftauchen. Zuerst wurden die Anwesenden aber mit einem syrischen Apéro riche verwöhnt. Etwas leichtere Kost als das Gehörte.

 

Krieg in der Ukraine

«Ich muss ihnen offen sagen, ich dachte, die Ukraine halte das nicht lange durch», sagt Gysling zum Start ins Thema des Ukraine-Krieges. Die Ukraine zeigte sich aber viel geeinter als erwartet. Gysling stellte das Narrativ der Bedrohung durch die Nato, welches Russland immer wieder vorbringt, infrage. Bis 2002 sei dies für Putin kein Thema gewesen. Als 2004 dann die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Bulgarien, Rumänien, Slowenien und die Slowakei zur Nato kamen, wendete sich Putins Einstellung und er konstruierte sich diese «Bedrohung».

Auch der Westen habe aber Dummheiten gemacht. So habe die Nato in Rumänien und Polen Raketenabwehrsysteme aufgebaut und davon gesprochen, dass sich diese gegen den Iran richten und nicht gegen Russland. Das habe Russland aber natürlich anders wahrgenommen. Und auch in diesem Konflikt wechselte der renommierte Journalist die Perspektive. In Europa gehe man immer davon aus, alle würden so denken wie wir. Dem entgegnend zeigte er auf einer Weltkarte, welche Länder Sanktionen gegen Russland ­ergriffen hätten. Das sind 45 Länder, 150 hätten bisher keine Sanktionen verhängt und würden das auch nicht tun. «Die Welt tickt anders als wir in Westeuropa», sagt er dazu.

 

Ein Vernichtungskrieg

Den Krieg selber bezeichnete Gysling als gezielten Vernichtungskrieg. Es würden ganz klar zivile Ziele in der Ukraine ­angegriffen. Die in seinen Augen geübte Verzögerungstaktik bei der Unterstützung der Ukraine durch den Westen halte er für berechtigt. Man sei hier auf einer Gratwanderung und der Westen wolle einen Krieg zwischen der Nato und Russland verhindern.

Gysling zeigt sich skeptisch, dass Russland irgendwann aufgeben werde. Er denke, dass es nicht gelingen werde, die Russen von der Krim oder auch von Donezk zurückzudrängen. «Ich befürchte, dass man sich im Westen und in Kiew irgendwann mit der Situation abfinden muss.» Man merkt Gysling an, dass er gerne bessere Nachrichten verkünden würde und er sagt auch: «Ich hasse mich für diese Aussage.»

Aus dem Publikum wird er nach dem Ziel von Putin gefragt. Gysling meint, es gebe keine Anhaltspunkte, dass er Europa einnehmen will. Sein eigentliches Ziel ist wohl die Wiederherstellung der alten Sowjetunion. Und auf die Frage, ob sich Putin mit den jetzt eroberten Gebieten zufriedengebe, antwortete Gysling: «Keine Ahnung.» Und so schliesst auch das zweite Thema an diesem Abend mit einer gewissen Ratlosigkeit – auch beim langjährigen Experten.

Anschliessend verköstigte Rima Nader mit Team die Anwesenden mit einem üppigen syrischen Buffet, das LaMarotte-Team unterstützte uns tatkräftig in allen Belangen.
Vielen herzlichen Dank.

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