Hier können Sie die Laienpredigt vom Gemeindesonntag am 13. September 2015 nachlesen, welche von Judith Gruindmann gehalten wurde.

Laienpredigt September 2015

Hier können Sie die Laienpredigt vom Gemeindesonntag am 13. September 2015 nachlesen, welche von Judith Gruindmann gehalten wurde.

Predigt am Gemeindesonntag, 6. September 2015

Judith Grundmann

Neid



Einstieg: kleine Sachen verteilen – unreife Birnen, kleine und grosse Tartuffos eingewickelt in gelbe Servietten
 
Einführung Zitat Die Neider sterben, nimmer stirbt der Neid." Molière
 
Liebe Gemeinde! Mit diesem provokanten Zitat von Molière möchte ich meine Predigt beginnen.

Einstieg persönlich, wie bin ich zum Thema gekommen, Beispiele

Als ich unserer Pfarrerin Susanne Sauder zusagte, in diesem Jahr die Laienpredigt zu halten, hatte ich noch kein Thema. Nur wenige Tage später bekam ein Mail, in dem es um Neid ging. Der Neid drängte sich als Thema quasi auf und ich begann, mich auf die Spur dieses Gefühls zu begeben.

Ich habe mich auf die Suche gemacht – und bin überraschend schnell und auch in der Nähe fündig geworden.

Bsp. Erfolgreicher Nachbar mit Senkrechtstart der eigenen Firma wurde von Kollegen gemieden
Bruder von Bekannten, guter Flötenspieler, neidisch auf Berufsmusiker
Reiche Erbin, finanziell unabhängig und besser gestellt als der Mann
Kinder grösseres Geschenk oder eins mehr; Zuneigung der Eltern
Eigener Hauskauf


Woran denken Sie bei Neid – an die Farbe Gelb, mit der er häufig in Verbindung gebracht wird, an ein schlummerndes Monster im Untergrund, was sich unerwartet hervor wagt, oder kommen ihnen jetzt auch Situationen in den Sinn, wo es Ihnen wie einen Stich gegeben hat – wenn jemand etwas erreicht hat, was Sie sich schon lange vorgenommen haben, etwas erworben hat, wovon Sie schon lange träumen? Vielleicht reicht auch ein Blick nach rechts und links, dass Sie sich benachteiligt fühlen, dass Sie das Gefühl haben, dass das Leben es nicht gut mit Ihnen meint, dass Sie zu kurz gekommen sind?

Ich habe die Predigt in drei Teile gegliedert:
Wesen des Neides, Ist der Neid ein neues oder ein uraltes Gefühl? Wie können wir mit dem Neid umgehen?



1. Wesen des Neides



Allgemein zum Neid
Neid! Das ist der intensive negative Gefühlszustand von Menschen, wenn sie den Besitz, den Erfolg, den körperlichen Vorzug oder das Glück eines anderen beobachten können, das sie nicht haben, aber ihm missgönnen.

Etwas weiter geht noch Joseph Epstein in seinem Essay „Neid“ ,indem er fragt: Was ist denn nun der Neid? Ist es ein Gefühl, eine Krankheit des Gemütes, eine der 7 Todsünden, zu denen er seit dem 6. Jh. gerechnet wird?

Der Spiegel titelte 2003 „Neid – das Gefühl im Hinterhalt“. Es ist ein verpöntes Gefühl, was man nicht zugibt, was man versteckt, was man oft nicht mal sich selber gegenüber eingestehen will. Neidisch sind immer nur die anderen! (empfehlenswertes Buch)
Neid rührt im Grunde daher, dass jemand etwas hat, das er nach Ansicht des anderen nicht verdient.

Vergleiche
Am Anfang steht das Vergleichen – dabei vergleichen wir uns nicht mit Filmstars oder der Queen, sondern eher im näheren Umfeld: im Freundeskreis, in der Familie, mit den Nachbarn.
Nach Richard Smith (Psychologe an der Universität in Kentucky) arbeitet unser Gehirn mit Vergleichen – es unterscheidet nicht nur zwischen warm und kalt, hell und dunkel, gut und schlecht – sondern wir vergleichen uns auch mit anderen Menschen. Durch diese Vergleiche lernen wir etwas – über unsere Stärken und Schwächen, wir kommen auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn wir uns überschätzen oder wir merken auch, in welchen Bereichen wir gut sind.

Neid kann also durchaus ein weiser Ratgeber sein. Ohne Vergleiche hätten wir keinen Massstab.

Was wird beneidet?
Bei meiner Auseinandersetzung mit dem Thema ist mir klargeworden: Es gibt nichts, wirklich nichts, was nicht beneidet wird.
10. Gebot (Luther): Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was dein Nächster hat. Heute sind es eher andere Güter, die beneidet werden (die Frau mal ausgenommen), vor allem Güter die knapp sind – ein sicherer Arbeitsplatz, die berufliche Position, Gesundheit, ein volles Konto, aber auch ein grosses Auto, ein Wintergarten, ein Pool, ein Boot…

„Tatsächlich aber sind nicht für alle Menschen dieselben Güter beneidenswert. Was jemand beneidet, lässt seine individuellen Werte erkennen. So beneidet man jemand anderes nicht um alle seine Güter, sondern nur um diejenigen, die man selbst nicht hat, obwohl sie einem so wichtig sind, dass man nicht auf sie verzichten zu können glaubt“ [2] S.13

Bsp. Autos interessieren mich überhaupt nicht, fahren mit einem 18 jährigen, zerbeulten Ford Galaxy – deshalb spielt es für mich keine Rolle, ob der Nachbar einen neuen Ferrari, ein Cabrio oder einen Porsche besitzt.
Das soll nicht heissen, dass ich frei von Neid wäre. Das nicht! Einfach in anderen Bereichen!
Aber wenn ich z.B. nur eine temporäre, eine zeitlich begrenzte Stelle habe, neide ich vielleicht dem Arbeitskollegen aus einem anderen Bereich die neu geschaffene Stelle in unserer Abteilung. Was kann er, was ich nicht zu leisten vermag? Warum haben sie sich für ihn entschieden?

Möchte jemand sich dazu äussern, wann er im Leben schon mal neidisch war?
Ich habe auch nicht erwartet, dass sich jemand meldet. In einem Moment der Stille möchte ich Ihnen die Möglichkeit geben sich Gedanken zu machen, worauf man selber schon mal neidisch war.

Wie wirkt der Neid in uns
Können Sie sich nicht nur an den „Auslöser“ des Neides erinnern, sondern auch daran, was dieses Gefühl mit Ihnen gemacht hat? Waren es nur kleine Stiche oder ist es tiefer gegangen? Hat es in Ihnen rumort, tage- vielleicht auch wochenlang? Ist das Gefühl immer noch da oder hat es sich einen Ausgang gesucht?
Nein - ich erwarte keine Antwort – der Neid ist ein Gefühl, was im Verborgenen agiert, darum ist er auch so schwierig fassbar, nicht nur für uns. Auch für Forscher ist es ein schwieriges Terrain. Sie können sich dem Problem nur auf Umwegen nähern und erst vor wenigen Jahren ist es ihnen mit Hilfe eines MRT gelungen, die Region in der stirnnahen Grossraumrinde (präfrontale Kortex) zu ermitteln, die mit dem Neid verknüpft ist; je neidischer der Mensch desto höher die Hirnaktivität in diesem Bereich.

Wir wollen nicht zugeben, dass wir neidisch sind - aber auch wenn wir ihn verdrängen, wirkt er auf uns - auf unseren Körper und unser Verhalten, beeinflusst unser Fühlen und Denken.

W.Gerrod Parrott in „The Psychology of Jealousy & Envy“ „Wieso ist es manchen Menschen gegeben Neid – wenn überhaupt – nur in einem flüchtigen Anflug zu verspüren? Weshalb dient er anderen als Ansporn zum Nacheifern und damit zur eigenen Weiterentwicklung? Und warum wird er für wieder andere zu einem riesigen Kessel, in dem giftige Galle brodelt? Dieser Aspekt des Neids - wie viele andere auch - lässt sich deshalb schwer bestimmen, weil Neid meistens als verstohlene Sünde daherkommt.“

Wenn wir den Neid einfach gewähren lassen, kann er durchaus krank machen – der Neid ergreift von uns Besitz, wir werden gelb vor Neid. Nicht umsonst gibt es den Ausdruck „zehrender Neid“.
„Neid verengt unsere Sichtweise. Er ist sogar eine Form von Blindheit. Denn wir werden mit der Zeit völlig blind für alles Positive in unserem Leben. [3 S.26] “ Und wir bekommen eine Art Tunnelblick: Wir sehen ausschliesslich das beneidete Gut und nicht, was damit noch verbunden ist:
z.B. Job ist prestigeträchtig, aber lässt eigentlich keine Zeit für die Familie, zum Leben;
der Berufsmusiker ist erfolgreich, aber er übt jeden Tag viele Stunden

Wie wirkt er nach aussen?
Seine hinterhältige Macht bezieht der Neid nicht zuletzt aus seiner Ächtung. Moral, Gesetz und Religion haben ihn in den psychologischen Untergrund gedrängt. Neid wird unterschätzt, es ist nicht einfach ein emotionales Randphänomen, was man nicht wahrhaben will, auch wenn niemand ihn öffentlich zugeben will. Er sucht sich andere Wege, macht sich sozusagen über Hinterausgänge – wie Missgunst, üble Nachrede, Schadenfreude… - bemerkbar.

Neid hat zu Morden unter römischen Kaisern geführt, liess Steine in jüdische Schaufenster fliegen, verwandelt Nachbarländer in Kriegsgegner, macht Freunde zu Konkurrenten, führt zu Anzeigen beim Finanzamt und zu Mobbing von fähigen Kollegen am Arbeitsplatz.

Es ist eine schwierige Situation – nicht nur für den Neider auch den Beneideten.
Neid kann auch dazu führen, dass der Beneidete versucht, keinen Neid zu erregen – er versucht seinen Besitz zu verbergen oder unter seinen Möglichkeiten zu bleiben. Er gibt nicht sein Bestes, möchte nur Mittelmass sein, obwohl es ihm leicht fiele, besser zu sein.
Bsp. Bereits im Mittelalter wurden an den Häusern der Reichen Neidmasken angebracht, um den Neid fernzuhalten; die besten in der Schulklasse werden oft, auch zu Unrecht, als Streber bezeichnet; in Ägypten gibt es die Tradition, einen alten Schuh auf Luxuskarossen zu befestigen – damit sagt der Besitzer: das ist zwar ein toller Schlitten aber auch unzuverlässig, oft muss ich ihn stehenlassen und zu Fuss weitergehen

2. Ist der Neid ein neues oder ein uraltes Gefühl?



Gibt es den Neid erst in unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaft oder schon länger? Die Beispiele haben es ja bereits gezeigt: Neid ist ein uraltes menschliches Gefühl und es hat die Entwicklungsgeschichte der Menschheit stark beeinflusst, stärker als wir uns bewusst sind - als Antrieb.

Neid evolutionstechnisch (Affen)

Die gemeinsame Stammesgeschichte von Affen und Menschen (Ausnahme Gorillas) reicht 7 Mio Jahre zurück. Sobald Spezies in einer Gruppe zusammenleben ist Zusammenarbeit erforderlich.
Aber die Mitglieder dieser Gruppe konkurrieren auch, was wichtig ist, damit die genetische Auswahl funktioniert und um herauszufinden, wer der Boss ist. Es entsteht eine Hierarchie. Neid prägt von Anfang an dieses Zusammenleben. Er ist der Antrieb, mit seinem Los unzufrieden zu sein und seine Position innerhalb der Gruppe verbessern zu wollen.
Für Christopher Boehm vom Jane-Goodall-Forschungszentrum ist klar: Neid hat auf die menschliche Entwicklung einen stärkeren Einfluss genommen als die meisten anderen Gefühle [4] S.60

Es lohnt sich auch, nach oben zu wollen. In der Rückenmarksflüssigkeit von Grünen Meerkatzen, die in ihrer Gruppe die Führungsposition innehatten, wurden stark erhöhte Serotoninwerte festgestellt (Stoff steigert das Wohlbefinden). Büsste es den Status ein, sank auch der Serotoninwert auf normales Niveau.

Soziologen wiederum haben herausgefunden, dass Gesellschaften ohne Konkurrenz Schwierigkeiten haben, sich weiterzuentwickeln. Wenn Bessersein und Extravaganz gesellschaftlich geächtet werden und jeder sich hütet, etwas anderes zu sein oder mehr zu haben als die anderen, führt dies letztlich zum Stillstand. Das Entwicklungspotential liegt brach und jegliche Kreativität verkümmert.
 

Neid in der Bibel


Auch in der Bibel gibt es zahlreiche Geschichten, in denen Neid eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht sind Ihnen Kain und Abel, Joseph und seine Brüder, Martha und Maria in den Sinn gekommen und auch Jesus wurde von den Hohenpriestern aus Neid überantwortet. Ich habe mich für folgendes Gleichnis entschieden.

Von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20 1-16)
1Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.
2Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
3Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen
4und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.
5Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.
6Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
7Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
8Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten.
9Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.
10Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen.
11Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn
12und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
13Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?
14Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.
15Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?
16So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

Ein bekanntes Gleichnis, wo es auch zahlreiche Auslegungen dazu gibt. Ich möchte den Fokus auf die Arbeiter legen – besonders auf jene, die seit dem Morgen bei Hitze den ganzen Tag im Weinberg hart gearbeitet haben.
Die Arbeiter waren mit dem Lohn, den sie am frühen Morgen ausgehandelt haben, einverstanden. Vermutlich haben sie das Angebot des Weinbergbesitzers akzeptieren müssen, viel Verhandlungsspielraum werden sie nicht gehabt haben. Vielleicht haben sie sich auch tagsüber sogar gefreut – dass sie endlich wieder einmal nicht den ganzen Tag vergeblich auf dem Markt herumstehen und mit leeren Händen nach Hause kommen müssen. Diese Freude hielt bis zum Abend, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Lohn ausgezahlt wird, zuerst denen, die als Letzte gekommen sind. Sie, die sich nur eine Stunde abgemüht haben, bekommen einen Silbergroschen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass einige von denen, die noch wartend dastanden, angefangen haben zu rechnen. Wäre dies eine Aufgabe aus dem Mathematikbuch, wäre es doch ganz klar – wenn der Lohn für eine Stunde ein Silbergroschen ist, müssten sie logischerweise ein Vielfaches erhalten…
Aber auch sie erhalten auch nur den einen Silbergroschen. So eine Ungerechtigkeit! Sie waren enttäuscht und murrten! Dabei tut der Weinbergbesitzer den Langzeitarbeitern kein Unrecht. Er gibt ihnen das, was vereinbart war, einen Silbergroschen. Auch haben sie keinen Nachteil davon, dass auch die Kurzzeitarbeiter dasselbe Geld bekommen. Alle haben das erhalten, was lebensnotwendig für sich und ihre Familien ist.

Aber sie hatten keine rechte Freude mehr an ihrem Lohn, er war wie entwertet. Die Freude über ihren Verdienst war getrübt, getrübt dadurch, dass andere für den gleichen Lohn viel weniger leisten mussten. Erst recht nicht konnten sie sich mit den anderen freuen. Unzufrieden wurden sie erst durch den Vergleich.

Ich kann auch eine Warnung heraushören – Vergleichen erzeugt Neid, das Herüberschielen nach rechts und links kann bitter und undankbar machen und dazu führen, dass sich die Freude über das, was man hat, sich verflüchtigt.

Wenn ich das bisher Gesagte nochmal kurz zusammenfasse, ergibt sich folgendes Bild vom gelben Monster:
Der Neid existiert bereits seit Millionen von Jahren, alles kann beneidet werden, Neid kommt vor allem im engeren Umfeld vor – bei Freunden, Nachbarn.... und wir können diese urmenschliche Regung nicht einfach abstellen. Was können wir also machen mit dem Gefühl, was immer wieder in uns bohrt, rumort??


3. Wie können wir mit dem Neid umgehen?



Neid der Ostdeutschen
Bevor ich zu allgemein gültigen Umgangsmöglichkeiten komme, möchte ich einen Blick nach Deutschland werfen. Auch 26 Jahre nach der Wiedervereinigung sind die Lebensverhältnisse in den beiden Landesteilen sehr unterschiedlich.
Die Löhne im Osten lagen 2014 bei 81% der Westlöhne, entsprechend sind auch die Renten tiefer, das Sparguthaben im Osten beträgt weniger als die Hälfte pro Haushalt, Arbeitslosigkeit knapp doppelt so hoch. Wie gehen die Ostdeutschen mit dem kollektiven Neid um? Sie nutzen einen unbewussten Abwehrmechanismus, um sich der direkten Vergleichbarkeit mit den Westdeutschen zu entziehen.

War 1989 noch "Wir sind ein Volk" der Slogan, wollen die Ostdeutschen wenige Jahre später nichts mehr davon wissen. Nach den Aussagen der Forscher pflegen sie eine „Eigengruppenaufwertung“ (so wie sich auch hier Bewohner des einen Kantons anderen Kantonen überlegen fühlen) Aber die Ossis tun dies so ausgeprägt, als wären sie ein eigenes Volk. Sie halten sich für sympathischer, moralischer und kompetenter, für hilfsbereiter, ehrlicher, rücksichtsvoller… während sie die Wessis als habgierig und besserwesserisch empfinden.

„So gesehen können sich die Ostdeutschen die allseits geforderte gesamtdeutsche Identität psychologisch gar nicht leisten“, sie brauchen, um den Neid in Schach zu halten, ein Überlegenheitsgefühl auf einer anderen Ebene.

Umgang mit dem Neid
Da vermutlich nur wenige von Ihnen aus dem Osten Deutschlands stammen, möchte ich noch ein paar allgemeingültige Vorschläge bringen.

Als erstes denke ich, dass es ganz wichtige Voraussetzung ist, den Neid zuzulassen und zu akzeptieren. Es hat schon etwas Befreiendes, den Neid zuzugeben, ihn sich oder auch gegenüber anderen einzugestehen.

1. Weniger Vergleiche
Wenn Sie sich nochmal an die Arbeiter im Weinberg erinnern – sie wurden erst durch Vergleiche unzufrieden.
Eine Möglichkeit ist demnach, sich weniger mit anderen zu vergleichen, sondern sich mehr auf sich selbst zu besinnen. Was ist für mich in meinem Leben wichtig? Was ist gut, schlecht, was bereitet mir schon lange Mühe?
Um dann ganz konkret zu überlegen, in welchen Hinsichten gibt es ein Veränderungspotential? Was ist realistisch? Was muss ich akzeptieren? Natürlich werde ich mich nicht – wenn ich klein und eher pummelig bin – in eine langbeinige Schönheit verwandeln.
Was macht mich zu einem wertvollen Menschen, was macht mich einzigartig? Ganz sicher nicht die Stufe auf der Karriereleiter oder das grosse Auto.

2. Als Ansporn
Auch kann ich von den Ideen anderer, von einer guten Problemlösung, einfach von dem, was sie mir voraushaben, profitieren. Ich kann mich davon inspirieren lassen – denken, dass ihr Lösungsansatz auch mir helfen kann. Es lohnt sich, gute Vorbilder zu haben.

Witz: Geht ein Amerikaner mit einem Freund spazieren. Kommt ein grosser Cadillac vorbei. Sagt der Amerikaner zu seinem Freund: „So einen Wagen fahre ich auch nochmal!“
Geht ein Deutscher mit einem Freund die Strasse entlang, fährt ein BMW vorbei. Sagt der deutsche zu seinem Freund: „Der Typ geht auch nochmal zu Fuss“.

Ich kann den Neid als Signal verstehen, so wie es der Amerikaner gemacht hat, dass ich unzufrieden bin mit dem, was ich habe, mit meiner Position. Ich kann diese Gefühlsregung als Anstoss nehmen, dass ich etwas in Angriff nehme, was ich mir schon lange vorgenommen habe, dass ich mich getraue etwas Neues auszuprobieren, dass ich mir mehr zutraue z. B. eine Weiterbildung beginne oder eine neue Sportart ausprobiere oder mich auf eine grosse Bergtour begebe. Dann sehe ich den Neid als Ansporn, als Ermutigung, als Triebfeder für meinen Erfolg. Auch wenn ich ein Scheitern einkalkulieren muss – vielleicht ist die Weiterbildung zu anspruchsvoll, der Sport sagt mir nicht zu oder der 4000er ist doch eine Nummer zu gross. Aber einen Versuch ist es allemal wert.

3. Bedürfnisse überdenken, Denkmuster durchbrechen
Neid zeigt uns ja unbefriedigte Bedürfnisse, aber es ist durchaus sinnvoll, diese zu überdenken. Brauche ich das alles überhaupt? Kann ich mich auch mit weniger zufrieden geben, mit weniger zufrieden sein?
Bsp. Vielleicht haben Sie schon immer von einem schnittigen Motorrad geträumt, aber in der Jugend hat es nur zu einem Velo gereicht, dann hatte das praktische Familienauto höhere Priorität– und jetzt? Ich kenne mehrere Männer, die sich um die 60 diesen Jugendwunsch erfüllen und das ist auch in Ordnung.
Aber es ist auch wichtig, diese Bedürfnisse zu hinterfragen. Vielleicht haben nicht nur wir uns in den vielen Jahren verändert, sondern auch unsere Wünsche. Oft geht es auch nicht um den Gegenstand selber, sondern wir suggerieren uns, dass die Befriedigung, die der andere aus dem schnellen Motorrad zieht, glücklich macht.

Meine letzte Überlegung heisst Denkmuster durchbrechen. Auch wenn es uns die Werbung immer wieder suggerieren will, dass ein bestimmtes Produkt uns automatisch glücklicher und zufriedener werden lässt, diese Rechnung geht nicht auf. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass das Familienleben in der Villa konfliktfreier ist, der Nachbar mit dem grösseren Auto beschwingter durch den Tag fährt, und die Reise ans andere Ende der Welt erholsamer ist als eine Bergtour in den Alpen.

Das Glück wächst aus einer inneren Zufriedenheit, dass wir nicht nach rechts und links schielen, was uns zum perfekten Glück noch fehlt, sondern dass wir glücklich mit dem sein können, was wir in den Händen halten, was uns geschenkt worden ist (nicht nur im materiellen Bereich!) und wir uns immer wieder der eigenen Stärken bewusst werden.

Schlusszitat von Joseph Epstein: Wem theologisches Denken fremd ist, wer mit dem Begriff „Sünde“ schlicht nichts anfangen kann, dem möchte ich empfehlen, Neid weniger als Sünde zu betrachten, sondern vielmehr als schlechte Psychohygiene. Er trübt die Klarsicht – sowohl auf die eigene Person als auch auf diejenigen, die man beneidet-, und führt letztlich dazu, dass man sich selber geringschätzt. Was man beneidet, kann man nicht klar sehen. Neid verzerrt das Denken, raubt einem jede Grosszügigkeit, vereitelt jede Hoffnung auf Gelassenheit und lässt letztendlich das Herz verkümmern – Gründe genug, um unter Aufbietung aller Kräfte zum Befreiungsschlag gegen ihn anzusetzen. [1 S. 114]

Schluss neidisch – Sie können im nächsten Jahr auf der Kanzel stehen
Wenn Sie in der letzten halben Stunde neidisch waren, dass ich und nicht Sie auf der Kanzel standen – dann lohnt es sich, diesen Neid zuzugeben. Es gibt auch im nächsten Jahr wieder eine Laienpredigt.


Literatur:



[1] Neid Die böseste Todsünde; Joseph Epstein Verlag Wagenbach Berlin 2003
[2] Neidisch sind immer nur die anderen; Rolf Haubl Verlag C.H.Beck 2009
[3] Die Falle des Vergleichens; Cornelia Mack SCM Hänssler 2012
[4] Warum wir gut und böse sind; GEO kompakt 2010
[5] Neid - die Macht eines verkannten Gefühls; GEO 7/2003 S.52 ff

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