Laienpredigt zum Thema "Heimat"
Laienpredigt von Martin Knitsch zum Gemeindesonntag am 7. September 2008
in der ref. Kirche Bonstetten
Liebe Gemeinde,
heute habe ich die grosse Ehre, als Laie vor Ihnen über das Thema "Heimat" predigen und einige Gedanken vortragen zu dürfen, die mir (und auch Anderen) zu diesem Begriff eingefallen sind. Dazu möchte ich Sie alle herzlich begrüssen.
Zum Wort Heimat
Heimat – ja was ist das eigentlich? Zunächst stelle ich fest, dass es diesen uns so selbstverständlich erscheinenden Begriff nicht einmal in allen europäischen Sprachen gibt. Die Engländer sprechen von "homeland", womit aber wohl eher das "Land, wo das Zuhause steht" gemeint ist. Im Italienischen gibt es das Wort "patria", im Französischen "patrie", was aber eher das "Vaterland", das "Land der Väter" bedeutet – nach meinem Empfinden also viel weniger als das, was wir im Deutschen mit dem Begriff Heimat verbinden. (Andere Sprachen: -> Philosoph Ludwig Wittgenstein: „Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“)
Heimat ist auch ein sehr emotionaler Begriff, was jedes Mal dann deutlich wird, wenn in der politischen Diskussion von Angst vor "Überfremdung" oder dem "Ausverkauf der Heimat" die Rede ist. Heimat hat also eine sehr vielschichtige Bedeutung, die über das Geographische und Nationale weit hinaus geht und ebenso eine spirituelle Dimension aufweist. Diese verschiedene Ebenen auszuloten soll also heute das Thema sein.
Persönlicher Hintergrund
Lassen Sie mich zuerst meinen persönlichen Begriff von Heimat anhand meiner Biographie erläutern. Geboren und aufgewachsen in Deutschland habe ich dort die ersten 30 Jahre meines Lebens verbracht – die in der Kinder-, Schul- und Jugendzeit geprägten "Heimatgefühle" sitzen noch immer sehr tief und die "schleckt keine Geiss weg":
Deutschland – meine Heimat durch Geburt und jugendliche Prägung.
Vor 22 Jahren kamen wir dann als junge Familie in die Schweiz, und mittlerweile habe ich Land und Leute sehr schätzen gelernt: Beim Land die aussergewöhnliche geologische Vielfalt auf kleinem Raum und bei den Leuten sowohl das typisch Schweizerische als auch die kulturelle Vielfalt unter den Menschen, am Arbeitsplatz, auf der Strasse in Zürich, usw.
Ich denke, dass ich mich nicht zuletzt auf Grund diverser Engagements auch in der Gemeinde Bonstetten inzwischen als halbwegs integrierter "fremder Fötzel" betrachten darf:
Die Schweiz – meine Wahlheimat.
Manchmal werde ich gefragt (gewissermassen als Lackmustest zur Heimatfrage), welcher Mannschaft ich die Daumen drücken würde, wenn es ein Fussballspiel zwischen der Schweiz und Deutschland gäbe – ein sehr interessantes und offenbar aussagekräftiges, wenn nicht sogar entlarvendes Heimat-Kriterium! Mit der Antwort auf diese Frage möchte ich Sie noch ein wenig auf die Folter spannen – ich komme am Ende der Predigt noch einmal darauf zurück.
Irdische Heimat
Ich möchte noch kurz bei der irdischen Heimat verweilen, bevor wir dann auf die biblische und die himmlische Heimat zu sprechen kommen.
Franz Hohler hat sein Heimatgefühl folgendermassen ausgedrückt:
Daheim bin ich, wenn ich in die richtige Höhe greife, um auf den Lichtschalter zu drücken. Daheim bin ich, wenn meine Füsse die Anzahl der Treppenstufen von selbst kennen. Daheim bin ich, wenn ich mich über den Hund der Nachbarn ärgere, der bellt, wenn ich meinen eigenen Garten betrete. Würde er nicht bellen, würde mir etwas fehlen. Würden meine Füsse die Treppenstufen nicht kennen, würde ich stürzen. Würde meine Hand den Schalter nicht finden, wäre es dunkel.
Heimat ist [also] das, was uns vertraut und darum lieb und teuer ist. Wir fühlen uns dort zuhause, wo wir uns auskennen, wo wir aufgehoben und zugehörig sind.
(Ruedi Reich, Kirchenratspräs. d. Ev.-ref. Landeskirche d. Kts. Zh )
"Heimat ist da, wo Wunden schneller heilen." Ein schöner Aspekt des Heimatbegriffs, nachvollziehbar, gesundet doch der Körper (und auch die Seele) besser in einer Umgebung, in der man sich wohl und zu Hause fühlt, wo es vielleicht auch Freunde gibt, die Anteil an den Sorgen haben und den Heilungsprozess durch guten Zuspruch unterstützen: "Heimat ist, wo meine Freunde sind."
Biblische Heimat
Bis jetzt haben wir uns mit den irdischen Gesichtspunkten des Heimatbegriffes auseinander gesetzt. Schalten wir nun also einen Gang höher und sehen, was die Bibel zum Thema Heimat zu sagen hat.
Das Alte Testament enthält kaum Passagen, die den positiven Aspekt der Heimat unterstreichen, dafür aber umso mehr Geschichten von Flucht und Vertreibung aus der Heimat und allenfalls Rückkehr in die Heimat:
- Das beginnt schon mit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies. Der Preis für das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis war der Verlust der paradiesischen Heimat. Später hat Kain seinen Bruder Abel erschlagen und musste von seinem Acker fliehen.
- Noah wurde durch die von Gott gesandten Wassermassen genötigt, seine Heimat zu verlassen.
- Abraham wurde von Gott aufgefordert, seine Heimat zu verlassen: "Geh aus deinem Vaterland… und aus deines Vaters Hause in das Land, das ich dir zeigen werde" (1.Mose 12,1) Und im Hebräerbrief heisst es: "Durch den Glauben gehorchte Abraham, als er berufen wurde, und brach auf an einen Ort, den er als Erbe empfangen sollte; er brach auf, ohne zu wissen, wohin er kommen würde." (Hebr. 11,8)
- Das ganze Volk Israel wurde vom Pharao freigelassen und ging weg aus Ägypten, worauf es 40 Jahre lang heimatlos durch die Wüste zog.
[ Das letzte Mal, als in einer Predigt davon die Rede war, dass die Israeliten 40 Jahre lang durch die Wüste irrten, raunte eine Kirchenbesucherin ihrer Nachbarin zu: "Wieder einmal typisch Mann – die waren schon immer zu stolz, um nach dem Weg zu fragen!" ]
Eine weniger bekannte Geschichte mit einem positiven Heimataspekt findet sich schliesslich im Buch "Ruth". Darin ist von einem Mann die Rede, der wegen einer Hungersnot in Juda aus Bethlehem wegging ins Land der Moabiter, zusammen mit seiner Frau Noëmi und seinen Söhnen. Die Söhne heirateten Moabiterinnen, eine gewisse Orpa und eine Ruth. Zuerst starb dann der Mann von Noëmi und zehn Jahre später auch die beiden Söhne. Noëmi stand dann also allein mit ihren beiden Schwiegertöchtern da. Sie beschloss, wieder zurück nach Bethlehem zu gehen, und besprach sich mit ihren Schwiegertöchtern.
Nach längeren Diskussionen entschied sich Orpa, in Moabit zu bleiben, während Ruth mit ihrer Schwiegermutter Noëmi von ihrer eigenen Heimat weg und zurück in deren Heimat nach Bethlehem ging – für sie selbst also in die Fremde. Die Begründung, die sie liefert, gibt die emotionale Seite des Begriffs der "Heimat" sehr schön wieder: "Ruth antwortete: Rede mir nicht ein, dass ich dich verlassen sollte …. Wo du hin gehst, da will ich auch hin gehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. " (Ruth 1,16-17)
Am Anfang des Matthäus-Evangeliums, wo der Stammbaum Jesu aufgeführt ist, taucht diese Ruth übrigens wieder auf – Jesus hatte also auch eine "Ausländerin" unter seinen Vorfahren! (Oder mit anderer Betonung: Auch Jesus hatte eine "Ausländerin" unter seinen Vorfahren! )
Schalten wir nun abermals höher und wenden wir uns nun der "Heimat" zu, wie sie im Neuen Testament vorkommt.
Eine bekannte Geschichte ist die vom "Verlorenen Sohn". Der jüngere von zwei Söhnen eines reichen Vaters lässt sich sein Erbteil auszahlen, geht in die Fremde, verprasst dort alles Geld und gerät schliesslich an den Bettelstab. Reumütig kehrt er daraufhin an den heimatlichen Hof zurück, wo der Vater so glücklich ist über die Rückkehr des Sohnes, dass er gleich ein grosses Fest für ihn veranstaltet. – "Heimat ist dort, wo Wunden schneller heilen." – Ein langes Gesicht in dieser Geschichte macht nur der Bruder des Heimkehrenden, der partout nicht versteht, dass sein Vater solch einen Taugenichts wie seinen Bruder so feierlich empfängt. (Lukas 15,11-32)
Und wie sieht es nun mit Jesus selbst aus? (Das wäre jetzt gewissermassen der Turbogang...)
Jesus war ja – zumindest in seinen Erwachsenenjahren – eher ein Wanderprediger ohne festen Wohnsitz. Er sagte einmal von sich: "Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann." (Matth. 8,20). Jesus also, der lehrend umherzieht, dabei Wunder um Wunder vollbringt – auf jeden Fall ohne Zuhause, vielleicht auch ohne Heimat.
Jesus kannte aber auch die heiligen Schriften seiner Väter, die Vorhersagungen und Prophezeiungen, und er wird auch den Psalm 119 gekannt haben, in dem David sagt: "Diese Welt wird nicht für immer meine Heimat sein" (Ps. 119,19) – eine Ankündigung, die sich für Jesus dann schon im jungen Alter von 33 Jahren erfüllen sollte.
Aber genau das ist es, was Jesus, der Wanderer, immer wieder gepredigt hat: Diese Welt wird nicht für immer unsere Heimat sein. Der Mensch ist auf Erden nur auf dem Weg, auf einer Durchreise zu einer himmlischen, paradiesischen, ewigen Heimat – bei Gott. - Der Mensch ist also ein Pilger ... auf einem sehr weiten Weg, und unser irdisches Dasein ist nicht viel mehr als eine Durchgangsstation zur Ewigkeit.
"Unser Bürgertum ist in den Himmeln", wie es im Philipperbrief (3,20) heisst.
Und darum warnt Jesus ja auch davor, all zu viele irdische Schätze anzuhäufen: auf der Erde sind sie vergänglich, sie können „von Motten und Rost gefressen“ oder gestohlen werden (Matth. 6,19-21), im Himmel nützen sie nichts. Jesus mahnt, lieber Schätze bei Gott im Himmel zu sammeln, wo sie weder gefressen noch gestohlen werden können.
Die Nähe zu Gott, besser, die Nähe bei Gott, ist also unsere wahre, letztendliche Heimat, die uns all das geben kann, was wir vom Gefühl her mit "Heimat" verbinden: Sicherheit, Zuflucht und Geborgenheit.
Die folgende Geschichte eines indischen Jesuitenpriesters (Anthony de Mello, 1931-87) schliesst den gedanklichen Kreis rund um die Heimat, indem sie den zu Anfang beleuchteten Aspekt der Vertreibung aus der Heimat sehr schön mit dem Gedanken der göttlichen Heimat verknüpft:
"Die Lehren des Meisters fanden bei der Regierung keine Zustimmung und sie verbannten ihn aus seiner Heimat. Den Schülern, die fragten, ob er nie Heimweh hätte, sagte der Meister: «Nein». «Aber es gehört zum Menschen, seine Heimat zu vermissen », wandten sie ein. Worauf der Meister sagte: «Man ist kein Verbannter mehr, wenn man entdeckt, dass die Schöpfung die eigentliche Heimat ist.»"
Die Schöpfung, Gottes Werk – die eigentliche Heimat.
Nun komme ich noch einmal zurück auf die Gretchenfrage „Martin, wie hast Du’s mit dem Fussball?“
Nun, die Antwort ist ein wenig kompliziert, insbesondere auf Grund der Tatsache, dass ich mir eigentlich gar nicht viel aus Fussball mache. Ich denke, die Deutschen haben schon oft genug gewonnen und es wäre schön, wenn auch die Schweizer einmal den Sieg davontragen würden. Wenn Sie aber darauf bestehen zu wissen, wem ich nun „die Daumen drücke“, dann muss ich sagen ... Italien! Und zwar deshalb, weil wir auch seit über zwanzig Jahren regelmässig unsere Ferien im Piemont verbringen, wir haben in all der Zeit dort viele herzensgute Menschen getroffen und kennen gelernt. Und ein grosser Prozentsatz unserer Freunde, also derjenigen Menschen, die die Bezeichnung „Freund“ wirklich verdienen, sind von Italien.
– Heimat ist da, wo meine Freunde sind.
Und zum Abschluss meiner Gedanken möchte ich Ihnen noch das Gebet eines zeitgenössischen deutschen (kath.) Priesters vortragen:
(Wilhelm Willms, 1938-2002):
Gott wir danken dir - du hast diese Erde gemacht als Heimat des Menschen.
Du hast auf der Erde alles so eingerichtet,
dass alle Menschen auf dieser Erde menschenwürdig leben könnten,
wenn der Geist deines Sohnes alle Menschen erfüllen würde
AMEN.